2. Advent

06. Dezember 2020

Leidenschaft für das Leben

Liebe Leserin, lieber Leser,
lassen Sie sich für einen Moment mit nach Myra nehmen. Das ist eine kleine Stadt an der türkischen Küste. Heute heißt sie Demre und liegt in der Nähe von Antalya. Vor ca. 1700 Jahren hieß der Bischof dort Nikolaus. Der 6. Dezember ist sein Namenstag.

Einst – so die Legende – gab es in Myra eine große Hungersnot. Die Menschen klagten und wussten nicht, wie es weitergehen sollte. Sie wollten – genau wie wir -  leben, überleben, Leben und Zukunft für die Kinder! Die Christen unter ihnen kamen Tag für Tag zusammen, um zu singen und zu beten. Ihnen fällt es schwer, auf die Worte ihres Bischofs zu hören. Der predigt ihnen immer und immer wieder: So seid geduldig und stärkt eure Herzen; denn das Kommen des HERRN ist nahe. So heißt es im Jakobusbrief im 5. Kapitel, Vers 8. Das ist auch der Predigttext für den heutigen Sonntag bei uns.
Mitten in solch einen Gottesdienst platzt plötzlich lautes Geschrei vom Hafen her. „Was ist da los?!“ Alle laufen hin, auch Nikolaus. Ein fremdes Schiff hat angelegt. An sich nichts Besonderes. Aber dieses Schiff ist voll mit Säcken von Weizen!
„Mein Befehl lautet, die Ladung unbeschadet zum Kaiser in Rom zu bringen“, macht der Kapitän dem Bischof unmissverständlich klar, nachdem der ihn um etwas Getreide gebeten hatte. „Nie und nimmer werde ich das tun, Befehl ist Befehl!“ Mit geradem Rücken beruft sich der Kapitän auf die geltenden Gesetze. Nikolaus aber lässt sich nicht beirren: „Schau doch den Menschen hier einmal ins Gesicht, sieh wirklich hin! Erkennst Du nicht, dass das Deine Schwester, Dein Bruder sein könnte und, ja, dass auch Du selbst einmal so in Not geraten könntest?  - Bitte, gib uns einen Teil Deiner Ladung und sei gewiss, Gott selber wird die Ladung wieder auffüllen!“ 
Der Kapitän gibt schließlich tatsächlich nach und die Menschen in Myra glauben an ein Wunder: „Da war Gott am Werk! Gott selbst hat das Schiff in unseren Hafen geführt!
Gott selbst hat das harte Herz des Kapitäns geöffnet und dann auch die Weizensäcke!“
Sie tanzen, danken und werden satt – das Leben hat eine neue Chance.
Und der Kapitän? Der sticht mit dem Versprechen des Bischof Nikolaus wieder in See: „Du wirst alles, was Du gegeben hast, wiederbekommen. Gott wird Dich segnen!“
Und wirklich, er kommt mit voller Ladung in Rom an. - Die Schiffsbesatzung aber fragt sich: „Was ist nun eigentlich das größere Wunder? Dass kein Kilo Weizen an der Ladung fehlt, oder dass das Herz unseres Kapitäns weich geworden ist?“

Am Nikolaustag ist es guter Brauch, jemand anderem eine kleine Überraschung in den geputzten Schuh zu stecken. Es kann ganz einfach sein, Freude zu machen und zugleich an die Menschenliebe des Nikolaus zu erinnern.
Nikolaus übrigens hat diese Leidenschaft für das Leben und den langen Atem der Hoffnung von Jesus gelernt. Von Jesus hat er auch gelernt, dass zur Geduld und zum Vertrauen auf Gott ebenso gehört, im rechten Moment den Mut zusammen zu nehmen und zu handeln: hätte der Bischof nicht das Gespräch mit dem Kapitän gesucht, wäre der Hunger in Myra nicht gestillt worden. Hätte der Kapitän nicht seine Angst vor einer möglichen Bestrafung durch den Kaiser überwunden, wäre die Not auch nicht gelindert worden.
Bis heute handelt Gott an uns durch Menschen, die uns lieb haben und ihre Hände und Füße, Herz und Verstand benutzen. Das können Sie und ich auch: z.B. für jemand anderen beten, aber sich dann auch aufraffen und zum Telefon greifen oder gar einen Besuch wagen – und sei es mit dem zur Zeit gebotenen Abstand. Oft bin ich anschließend nicht leer, sondern sehr bereichert, ja, gesegnet nach Hause gegangen. Ich habe etwas davon wahrgenommen, dass Gott nicht nur auf sich warten lässt, sondern da ist, mitten unter uns. 

Pastor i. R. Edzard Siuts